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Pressebericht von Dienstag, 30. April 2013

Brecht wäre begeistert gewesen

Premiere in der WCM: TheaterAG des Schiller-Gymnasiums spielt die "Heilige Johanna der Schlachthöfe"

Die "Heilige Johanna der Schlachthöfe" gehört ähnlich wie "Fatzer" oder "Die Judith von Shoimoda" zu jenen abendfüllenden Stücken von Bertolt Brecht, die es jenseits der kanonisierten Meisterdramen erst noch zu entdecken gilt. Das war auch die Auffassung von Dr. Hans-Peter Goldberg, dem Leiter der Theater AG "Schillers Freu(n)de" am Heidenheimer Schiller-Gymnasium, als er auf der Suche nach neuem Stoff für eine Aufführung war.

Schnell stieß er dabei auf die "Johanna", weil dies zur Zeit "das aktuellste Stück von Brecht ist. Man könnte meinen, es wäre heute erst geschrieben worden", so Goldberg. Und in der Tat erscheint die Handlung des Stücks, das zeitlich in den Jahren 1927/28, an den Vortagen der Weltwirtschaftskrise, angesiedelt ist und thematisch in die Welt der Börsenspekulanten und Banken der Wall Street einführt, erstaunlich aktuell. Der Hauptunter-schied zu heute scheint derjenige zu sein, dass sich die verspekulierten Banken nicht auf staatliche Rettungsschirme verlassen, sondern auf die Selbstheilungskräfte des Marktes.

Es ist erstaunlich, wie gut es Brecht gelingt, anhand einer Überproduktionskrise der Fleischwirtschaft in Chicago darzustellen, dass die Jahre der Krise, der Arbeitslosigkeit, des Hungers keineswegs schlechte Jahr für diejenigen sein müssen, die an der Börse ihr Geld nicht zuletzt dadurch verdienen, dass es solche Krisen gibt, deren unmittelbare soziale Folgen ihnen gerade gelegen zu kommen scheinen.

Vordergründig hat es die Hauptfigur Mauler (superb gespielt von Vincent Goldberg), der Fleischkönig von Chicago, mit einer Überproduktionskrise zu tun, sprich er hat zu viel Fleisch und wird es nicht los. Die Preise fallen, die Schlachthöfe von Chicago setzen ihre Arbeiter frei, es kommt zu Hunger und Unruhen. Doch Mauler hält sein Fleisch zurück, getreu dem Motto, man könne jene nicht zu Beschenkten machen, die eigentlich die Käufer sind.

Er kommt auf eine geniale Idee. Er kauft den gesamten Fleischvorrat von Chicago auf. Plötzlich wird das Fleisch auf dem Markt wieder teurer. Weil Mauler alles "gecornert" hat, ist das Fleisch trotz Überproduktion wieder knapp, die Preise stabilisieren sich. Mit dieser quasi Monopolisierung - man denke an die heutige Mineralölwirtschaft - kann Mauler seinen Kopf aus der Schlinge ziehen und die Preise trotz Überangebots stabil halten. Angenehmer Nebeneffekt: Mauler muss erst gar kein Hartz-IV einführen, ein Drittel der überflüssigen Arbeiter verliert er automatisch, die restlichen zwei sind anschließend bereit, für weit geringere Löhne zu arbeiten.

Für Goldberg ist die erstaunlich aktuelle Handlung aber nur der Hintergrund, vor dem er das eigentliche Drama, die Liebes-geschichte zwischen Mauler und Johanna (Aurelia Donat, die einen starken Eindruck macht), sich entwickeln lassen kann. Im Gegensatz zu anderen Wirtschaftsbossen, unterstützt Mauler die "schwarzen Strohhüte" von der Heilsarmee, deren Gallionsfigur in der Krise Johanna wird. Mauler hat erkannt, dass Religion Opium fürs Volk ist. Und die Massen ruhig hält.

Und Brecht hat erkannt, dass er mit Johanna einen klassischen Tragödienstoff entdeckt hat, der ohne Einfühlung nicht funktioniert und in welchem er ein Individuum an den Gesetzen der Masse zerbrechen lassen kann. Goldberg zieht bei der Umsetzung des komplizierten Stoffes alle Register des Brechtschen Theaterbaukastens, arbeitet mit Musik und Projektion, lässt Lieder singen, Plakate malen und Chöre sprechen.

Des weiteren verfügt er über Schauspieler der neunten bis elften Klasse, die ein für Schülertheater weit überdurchschnittliches Niveau bieten. Wie er diese dazu gebracht hat, im  Zuge von G8 und zunehmenden Lernstoffs, ihre Zeit durch Auswendiglernen von Massen an Text und ständiges Proben zu verschwenden, bleibt ein Rätsel, ist aber das Betriebsgeheimnis dafür, warum Goldberg seit Jahren das beste Schülertheater  im Kreis Heidenheim macht. Zudem hat er ein außergewöhnlich glückliches Händchen dabei, seine Rollen mit den richtigen Leuten zu besetzen. Und ihr jeweiliges Talent voll auszuschöpfen. Die Hauptfiguren, besonders aber Donat in der Rolle der Johanna, hinterlassen allesamt einen bleibenden Eindruck. Brecht wäre begeistert gewesen, weil er wusste, dass Laien, die einen Text verstanden haben, immer besser sind als Profis, die ihn nur aufsagen.

Holger Scheerer